551 Seemeilen, 110 Stunden
30.10. Cascais
Im Herbst beherrschen gewaltige Tiefs den Nordatlantik. Ihre südliche Grenze ist immer in unserer Nähe in Portugal. Südlich davon streckt das Azorenhoch oft einen Keil Richtung Gibraltar. Dadurch entsteht eine schwachwindige Zone, die für Segler schwer zu passieren ist.
Als problematischer sehen wir aber den Schwell, der an dieser Küste ankommt. Auch Tage nach starkem Wind ist das Meer noch aufgewühlt. Bei unserer Abfahrt ist es immer noch sehr ungemütlich, das Boot rollte heftig. Im NAVTEX liest sich das so:
HEAVY WAVES WARNING UP TO 20 MILES FROM THE COAST BETWEEN RIVER MINHO AND CAPE S.VICENTE IN ZONES 17(PORTO) AND 18(S.VICENTE).
GALE WARNING IN ZONES 4(CHARCOT) AND 16(FINISTERRE).VERY POOR VIS WARNING IN ZONES 18(S.VICENTE) AND 19(CADIZ).HEAVY WAVES WARNING IN ZONES 4(CHARCOT), 6(JOSEPHINE), 16(FINISTERRE) AND 17(PORTO).
In der ersten Nacht sind die Bedingungen wirklich außerordentlich unangenehm, da der Wind abschwächt und die Segel das Boot nur unzureichend stabilisierten. Häufige Winddrehungen erzwingen den Einsatz des Motors, zudem kommen wir nur langsam vorwärts.
31.10.
Am Morgen wird der Wind konstanter und stärker. Er weht aus S oder SE und wir können direkten Kurs 230 Grad anlegen. Perfekt! Nachmittags dreht der Wind auf S-SSW, Schwell etwa 4 m aber mehr aus NW anrollend. Die Grib Daten für den Nachmittag zeigen, dass der Wind weiter auf SW und später W drehen wird. Wir laufen einen harten, anstrengenden Am-Wind Kurs nach W, machen 7 Knoten und fahren in einen schönen Abend mit farbiger Cumulusbewölkung.
Durch die Winde hat sich eine Fahrt entlang der Gorringe Bank ergeben. In unserer Nähe befindet sich der Gettysburg Seamount, dessen Gipfel nur 20 m unter Wasser ist. In diesem Bereich könnten die Wellen höher sein, wir weichen daher aus. Wenig nördlich davon ist der Atlantische Ozean im Tagus Becken über 5.100 m tief, südlich davon 4.700 m.
Wir laufen nun annähernd auf Südkurs. Die Nacht ist sternenklar, später steigt ein orangefarbener Mond aus dem Horizont. Welch ein Schauspiel! Die Nachtfahrt ist nun geradezu ideal, perfekter könnten die Bedingungen gar nicht sein. Nur die Müdigkeit macht uns bei den Wachen zu schaffen.
Helga findet heraus, dass die LED-Dreifarbenlaterne im Masttop den korrekten Empfang der AIS Signale stört oder unterbindet. Die Gegenprobe beweist das. Wir benutzen ab sofort die Seitenlichter, obwohl diese deutlich mehr Strom ziehen.
1.11.
Morgens nehme ich den Windpilot in Betrieb. Das System steuert sehr präzis und zu unserer großen Zufriedenheit. Am Vormittag ist relativ wenig Wind, die Strömung schiebt uns leicht.
Am späteren Nachmittag frischt der Wind auf und kommt aus für uns günstiger WNW-NW Richtung. Der Kurs nach Porto Santo liegt schon fast an. Die blaue Weite ist schon ein sehr starker Eindruck, wir fühlen die Einsamkeit der Meere. Nur mit der KW-Station sind wir mit der Welt verbunden, ich sende einige Nachrichten per E-Mail.
2.11.
Nun brist der Wind ordentlich auf und zwar aus West. So wird es unmöglich sein, Porto Santo zu erreichen. Ich rufe GRIB files über KW-Funk ab. Die Wetterdaten sagen eine Drehung auf NW und später auf N vorher. Vorerst fahren wir nach SW weiter. Wegen des nun heftigen Windes und der Unmöglichkeit Porto Santo durch Kreuzen zu erreichen ziehen wir schon Lanzarote als Ausweichdestination in Erwägung. Als der Wind langsam zu drehen beginnt, geht CARA MIA von selbst, gesteuert durch den Windpilot immer mehr auf Westkurs. Ein Squall fordert uns beim schnellen Reffen. Minuten später ist die Böenwalze über uns hinweg und nur mehr wenig Wind. Also Segel wieder setzen. Anstrengend. Am Nachmittag ist es blau mit CU-Bewölkung aber heftigen Verhältnissen, später bedeckt und etwas ruhiger. Aber der Wind dreht wie vorhergesagt und wir gehen mit dem Kurs mit. Eine ganze Passage Am-Wind segeln, – so macht man das normalerweise nicht! Aber uns bleibt keine Wahl.
Die Nachtwachen fahren wir heute getauscht, Mondschein und gute Bedingungen, außer der konfusen See. CARA MIA stampft mit dem Bug. Oft treffen Wellenschläge die Seite des Rumpf sehr hart, es poltert gewaltig im Innern des Schiffs. Unser Vertrauen in die Yacht wächst, aber Arbeiten unter Deck werden schwierig.
3.11. Porto Santo
Der Wind ist immer noch NNW–N und ausreichend stark. Mit der aktuellen Segelstellung, voller Fock und nur etwas gerefftem Großsegel ist das Boot bei Welle schwierig zu steuern. Es ist etwas luvgierig und erfordert rasches Gegenruderlegen. Wenn man den Moment versäumt, holt es am Wind nochmals Fahrt auf und fällt mit der Korrektur dann viel zu weit ab. Hier ist konzentriertes Steuern gefordert. Der Windpilot würde bei verkleinerter Segelfläche sicherlich gut arbeiten. Wir möchten aber die Segel nicht kürzen und fahren deshalb von Hand. Die Strecke zieht sich ordentlich, man meint nicht weiterzukommen. Die OB´s auf der Karte liegen nach einer 3-Stunden Wache nicht weit voneinander entfernt. Das liegt aber am Maßstab des Überseglers, und der ist 1 : 3.500.000.
Die Bedingungen sind nicht gerade easy. Aus der Höhe der Wellenkämme bietet sich ein weiter Rundblick auf die, wie eine Landschaft geformte Oberfläche der See.
Wir berechnen, dass wir erst spät ankommen werden. Bei der Nachtansteuerung ist der Seegang immer noch so hoch, dass die Lichter der Stadt mit jeder Welle komplett aus der Sicht verschwinden. Helga fährt unter Segeln bis direkt vor den Hafen. Wir wissen zuerst nicht wohin, die wenigen Stege sind voll und es ist ziemlich dunkel. Endlich entdecken wir eine freie Boje. Es ist bereits 22:20 Uhr, aber ich koche noch Pasta. Endlich wieder duschen und sofort schlafen. Diesmal aber ruhig und in den Kojen statt im Salon!
Der erste Blick am Morgen auf die Insel begeistert mich und die Sonne strahlt vom blauen Himmel. Die Reise wird immer besser, denke ich mir.